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Voice over IP – Fluch oder Segen

Markus Stephan vom IHK-Magazin im Interview mit Lutz Klein.

„Herr Klein, ISDN wurde offiziell von der Deutschen Telekom und anderen Anbietern bis zum Jahr 2018 abgekündigt. An was erinnern Sie sich noch, wenn Sie an ISDN denken?“

Vor allem an Goldgräberstimmung (lacht). Der sogenannte ISDN-Boom fiel imn Jahr 1995 genau in die Gründungszeit meiner Selbstständigkeit. Ich hatte gerade ein paar Monate als Geselle gearbeitet und ein Gewerbe angemeldet. Ich war Einzelkämpfer und sehr dankbar dafür, dass die Deutsche Telekom damals alle neuen ISDN-Anschlüsse mit einer satten Förderung von 300 bis zu 700 Dm unterstützte. Den Höchstbetrag erhielt man nur, wenn der Kauf einer Telefonanlage nachgewiesen wurde. Dann bekam man eine dementsprechende Gutschrift auf sein Fernmeldekonto.

„Das hört sich aus Kundensicht auch heute noch immer gut an, auch ich habe damals die Förderung erhalten.“

Ja, in der Tat. das hat, wie schon gesagt, für einen regelrechten Boom in der Branche gesorgt. Nicht zuletzt hat die Industrie mit ihren Herstellern, haben die Fachhändler, die Deutsche Telekom, die Geschäfts- und Privatkunden – aber in jedem Fall auch das Netz – einen großen Nutzen davongetragen. Ich bin mir sicher, ISDN wäre niemals so schnell flächendeckend eingeführt worden, wenn es diese Förderung nicht gegeben hätte. Allerdings waren die Beträge auch damals sehr schnell aufgebraucht, denn Flatrates so wie heute gab es noch nicht. Dadurch, dass die Verbindungskosten im Vergleich zu heute noch sehr hoch waren, hatten viele Kunden das Guthaben in ein paar Monaten aufgebraucht. Aber trotz allem eine sehr gelungene, wenn auch kostenintensive Marketingkampagne für die damalige Deutsche Telekom.

„Sie haben mir die Briefmarke aus dem Jahr 1988 gezeigt, sind Sie Briefmarkensammler?“

Nein, das bin ich nicht, obgleich mich die Preise manch einer Marke und das Wissen der Sammler fasziniert. Die Marke habe ich mir vor ein paar Jahren gekauft, als das Thema Voice over IP immer spruchreifer wurde. Quasi schon als Erinnerung (lacht). ich finde, dass diese spezielle Briefmarke wie kaum ein anderes Symbol den Unterschied zwischen ISDN und Voice over IP verdeutlicht. Und ganz nebenbei noch ein paar andere Überraschungen bereithält.

„Wie meinen Sie das genau, Briefmarken gibt es doch noch immer?“

Ja, das ist richtig, Herr Stephan, aber wenn Sie genau hinschauen erkennen Sie, dass einzig Europa aus heutiger Sicht übrig geblieben ist. Es gibt keine Deutsche Bundespost mehr, keine Pfennige mehr, diesen Preis nicht mehr, die Zeit der Briefmarken dürfte auch gezählt sein und eben bald kein ISDN mehr. Zudem kann man hier sehr deutlich die klare Trennung der Dienste im Netz erkennen. Sprache, Text, Bild und Daten wurden bislang immer separat gesehen. Dies ändert sich im NGN (Next Generation Network), wie Voice over IP auch gerne genannt wird. 

„Was bedeutet das, einfach und verständlich, wenn es geht ohne Fremdworte?

Ich gebe mir Mühe, einfache Worte zu finden. Zukünftig und auch jetzt schon wird es nur noch einen IP basierten Anschluss geben. Hierfür finden sich mittlerweile im Markt viele Namen. Ob man nun Full-IP, Voice over IP, NGN, oder Internettelefonie sagt, so meinen doch alle dasselbe Netz. Wir erhalten alle einen Internetzugang, über den wir unsere Daten, aber auch unsere Telefongespräche und weitere Dienste wie z.B. Fernsehen, abrufen. Hier stehen wir erst am Anfang der Leistungsmerkmale. Die Industrie hält da einiges in den Schubladen zurück. Sobald die Umschaltung weiter voranschreitet und die notwendigen Bandbreiten überall verfügbar sind, werden wir „Bauklötze“ staunen, was alles möglich sein wird. Umso wichtiger ist die Lahn-Dill Breitbandinitiative, die ich sehr begrüße. Der Hunger nach immer mehr Bandbreite ist fast nicht zu stillen und somit existenzentscheidend für uns alle. Wenn wir die Bandbreite im Griff haben, dann haben wir auch gute Chancen, dass Voice over IP ein Erfolgsmodell wie ISDN wird.

„In welchem Zusammenhang steht denn Voice over IP mit Bandbreite?“

Nur wenn Sie genügend Bandbreite auf Ihrem Internetzugang haben, können Sie auch alle Dienste sauber nutzen. Ich erkläre es mal so: Wenn Sie eine E-Mail versenden oder empfangen, dann spielt es für Sie und Ihr Gegenüber nur eine untergeordnete Rolle, ob die E-Mail nun in 5 Sekunden oder in 20 Sekunden übertragen wird. Sie merken meist von dieser Zeitverzögerung nichts. Dieser unter Fachleuten genannte „Jitter“ sorgt aber bei Echtzeitkommunikation wie Sprache und Video für Probleme. Immerhin ist es unerwünscht und wir sind es von unsrem bisherigen ISDN-Netz nicht gewohnt, dass ein gesprochenes Wort zeitverzögert bei unserem Gesprächspartner ankommt. Aber das ist nur ein Problem, welches auftreten kann bei Voice over IP.

„Das hört sich ja nicht so gut an, äußern Sie da etwa Bedenken?“

Mein Lebensmotto vergleiche ich mit dem Fahrradfahren. Wer beim Radeln nach hinten schaut, verliert die Orientierung, fährt automatisch langsamer, kommt ins Schwanken und fällt kurz darauf meistens um. Das ist anders, wenn man nach vorne schaut. Man findet seinen Weg, ist zielstrebig und schnell, kommt seltener ins Trudeln und fällt nur gelegentlich mal hin (lacht laut). Hingeschmissen hat es mich auch schon, aber das ist ein anderes Thema und gehört sowohl zum Radeln wie auch zum Leben dazu.

Beim Wechsel von ISDN zu Voice over IP gibt es keine Bedenken, jedoch viele Dinge, die man beachten sollte. Im normalen Privatkundenbereich kann man nahezu bedenkenlos wechseln und bekommt die Technik auch schnell selbst in den Griff. Wichtig wird es immer dann, wenn man als Privatkunde Sonderlösungen oder spezielle Geräte im Einsatz hat. So sollte man sich ausführlich vor der Umstellung von einem Fachmann beraten lassen, wenn Alarmanlagen, Notrufwahlgeräte und Telefonanlagen vorhanden sind. 

Geschäftskunden sollten sich generell im Vorfeld ausführlich informieren und schlau machen lassen, um Überraschungen wie beispielsweise den Verlust der meisten bekannten ISDN-Leistungsmerkmale zu besprechen. Meistens gibt es hier ohnehin Sonderlösungen, wie auch bei manchen Privatkunden.

„Was für eine Lösung empfehlen Sie für Geschäftskunden und wer berät diese?“

Die unterschiedlichen Lösungsansätze im geschäftlichen Bereich sprengen den Rahmen dieses Interviews. Ob der VoIP – Telekommunikationsserver im Unternehmen (ehemals Telefonanlage PBX), die virtualisierte Software PBX, eine hosted PBX oder eine Cloud PBX, entscheidet der Kunde und dessen Bedarf. Die Beratung im Vorfeld dazu ist unumgänglich und sollte von einem Fachunternehmen mit fundierten Kenntnissen und langjähriger Erfahrung erfolgen. Jede Lösung hat eine Daseinsberechtigung, es gibt nicht DIE Lösung. Auch hier entsteht gerade wieder eine gewisse Goldgräberstimmung wie damals bei ISDN. Umso wichtiger ist es nicht auf Eintagsfliegen zu vertrauen, die schon bald nach Marktsättigung genauso schnell wieder verschwinden wie sie gekommen sind.

„Vielen Dank Herr Klein für das aufschlussreiche und interessante Gespräch.“

Ich danke Ihnen, Herr Stephan. 

Lutz Klein ist Gründer und Geschäftsführer der vor 20 Jahren entstandenen OCS GmbH aus Lahnau in Mittelhessen. Das Unternehmen mit 20 Mitarbeitern beschäftigt sich mit Kommunikations- und Sicherheitssystemen. Die OCS GmbH hat eine DIN ISO 9001 Akkreditierung und besitzt die DIN Zulassung für die Errichtung von Brandmelde- und Alarmanlagen. Der 40-jährige Informationstechnikermeister und freie Sachverständige für Kommunikationstechnik ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Greifenstein. In seiner knappen Freizeit unternimmt er gerne etwas mit seiner Familie, fährt Mountainbike, ist aktives Mitglied in einer freiwilligen Feuerwehr, Kreisausbilder für Sprechfunk und wirkt im Katastrophenschutzstab des Lahn-Dill Kreises mit. 

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